![]() |
Vorwort:
Dies ist der klägliche Versuch, eine sehr lange und sehr alte Geschichte aufzuschreiben. Da ich nur ein einfacher Mensch bin, werde ich die Mithilfe derjenigen benötigen, die diese Geschichte selbst erlebt hat. Sagen wir, sie ist meine Co-Autorin und sie wird meine Erzählungen ergänzen, bzw. teilweise selbst berichten, was sie erlebt hat. Mein Name ist Désirée und ihr Name ist Shack. Damit es keine Unklarheiten darüber gibt, wer gerade an der Reihe ist, werden Shack´s Kommentare in Anführungsstriche gesetzt. |
"Können wir jetzt endlich anfangen? Meine Flügel schlafen ein!"
Ja, ich denke es ist soweit alles gesagt, wir können
beginnen:
Diese Geschichte spielt etwa 2.000 Jahre in der Vergangenheit.
Shack hatte bereits einige ihrer Fähigkeiten entdeckt. Dazu gehörten
das Lesen und Empfangen von Gedanken, was ihr bereits nach kurzer Zeit
mühelos gelang, und die Gabe der Teleportation. Sie konzentrierte
sich einfach darauf einen Ort zu verlassen, und es geschah, sie verschwand.
Diese Gabe war ihr sehr nützlich, vor allem, wenn es brenzlig wurde.
Doch leider hatte sie diese Kräfte noch nicht recht unter Kontrolle.
"Doch, das hatte ich! Ich war eben noch in meiner
Lernphase und habe etwas experimentiert."
Lernphase? Du hattest
keine Ahnung, wo du dich hinteleportierst!
"Doch, das hatte ich!"
Hattest du nicht! -Und was deine Lernphase betrifft, die hast du doch bis
heute nicht abgeschlossen.
"In Wiefern?"
Du hast keine Ahnung vom Kochen und deine Tochter muß
für dich die Kleidung nähen.
"Das ist doch etwas vollkommen
anderes! Ich muß nicht kochen können, um zu überleben
und außerdem näht Cija gern für mich!"
- Natürlich,
weil du sonst nackt herumlaufen würdest!
"Sag´mal, findest
du nicht, daß wir ein bißchen vom Thema abschweifen?"
Du hast Recht, also laß uns mit der Geschichte fortfahren:
Es begab sich also zu der Zeit ...
"Oh, wie originell!"
-Was ist denn nun schon wieder?
"Dieser Anfang ist so abgegriffen, kannst du nicht anders beginnen?"
Und wie, bitte?
"Etwas dramatischer, für mich ist es ja
schließlich, als wäre es erst Gestern geschehen."
Also gut, du willst es dramatisch, du bekommst es dramatisch, aber laß mich
endlich anfangen!
Die Hügel waren rot von Blut und Feuer! Selbst der
Himmel schien zu brennen
und ...
"Was soll denn das werden? Ein Drehbuch für einen
Horrorfilm?!"
- Jetzt reichts! Ich mag nicht mehr, ich hab genug! Ich
bekomme schon Kopfschmerzen! Schreib doch gefälligst selbst, wenn
ich es dir nicht recht machen kann. Du kannst mich ja rufen, wenn du keine
Lust mehr hast.- Dabei wolltest du, daß ich schreibe, damit dir nicht
wieder der Rücken wehtut, weil Getaner doch so leicht Rückenschmerzen
bekommen. Aber bitte, du hast es so gewollt!
"Na endlich ist sie weg und ich habe meine Ruhe. Nun
werden die Dinge so niedergeschrieben, wie sie wirklich geschehen sind.
Schließlich können Getaner nicht lügen, ganz im Gegensatz
zu Menschen, die fast ständig lügen, sogar ohne es selbst zu
merken. Dies nennen sie dann übrigens beschönigen! - Nicht,
daß das ein Vorwurf wäre, oh nein, es ist eben ihre Natur, zu
lügen. Aber nun endlich zu meiner Geschichte. Ich will dieser Episode
den Titel geben `Der Käfer und andere Katastrophen`.
Und, wie schon gesagt, es ist alles genauso geschehen, wie ich es jetzt
berichten will:
Seit kurzer Zeit befand ich mich auf einem Planeten. Ob diese
Welt einen Namen hatte wußte ich nicht, doch war sie von menschenähnlichen Wesen bewohnt. Diese Leute lebten auf einer Entwicklungsstufe, die dem
Mittelalter auf der Erde gleichkommt. Manche wohnten in Siedlungen oder
Städten und betrieben Handel. Andere lebten auf dem Land und ernährten
sich durch Ackerbau und Viehzucht. Offensichtlich hatten diese Humanoiden
noch nie Kontakt zu anderen intelligenten Lebensformen gehabt und so zog
ich es vor, sie nur aus der Ferne zu beobachten und mich sonst zu verbergen.
Mit Sicherheit wäre ich schon nach kurzer Zeit wieder
von diesem Planeten verschwunden und weitergezogen, doch es sollte anders
kommen:
Zu meinem Unglück fanden die Humanoiden mein Raumschiff.
Entweder ich hatte ihre Intelligenz unterschätzt, oder ich war zu
nachlässig beim Verstecken des Schiffes gewesen.
Jedenfalls hatten sie es gefunden und mit Dreschflegeln
und Spitzhacken vollkommen zerstört. Ich saß also fest auf diesem
rückständigen Planeten und vertrieb mir nun die Zeit damit, seine
Bewohner zu beobachten.
Ihre Sprache zu lernen war einfach und ihren Kindern
beim Spielen zuzusehen bereitete mir großes Vergnügen. - Ich
mag Kinder.
Nach einigen Wochen machte sich jedoch eine seltsame Entwicklung
bemerkbar: Die Siedlungen und Gehöfte wurden von berittenen Männern
in Uniformen besucht, die den Leuten etwas aus einer Schriftrolle vorlasen.
Leider konnte ich nicht tief genug fliegen, um zu verstehen, was sie vorlasen,
doch ihr Tonfall war ernst. Nachdem die Uniformträger mit ihrer Verlautbarung
fertig waren sammelten sich schnell alle männlichen Bewohner auf großen
Plätzen.Manche von ihnen trugen Stöcke, Äxte oder Spitzhacken
bei sich. Andere erschienen mit Bögen und Schwertern. Ihre Stimmung
war aufgeregt. Die weiblichen Humanoide zeigten Anzeichen von Angst, manche
weinten sogar und drückten dabei ihre Kinder an sich.
Damals wußte ich noch nicht, daß es sich hierbei
um die Vorbereitungen für einen Krieg handelte. Ich hatte nie einen
Krieg erlebt und die vererbten Erinnerungen meiner Vorfahren, zu denen
ich manchmal bewußt, manchmal unbewußt Zugang hatte und die
mir oft weiterhalfen, konnten mich davor nicht warnen. Schließlich
kennen Getaner keinen Krieg. Wir haben nie einen Krieg geführt und
wären auch gar nicht dazu in der Lage, denn diese Art von geplantem
Töten liegt nicht in unserer Natur. Sicher sind wir dazu fähig,
zu kämpfen, aber nur in Notwehr, um uns selbst oder andere zu verteidigen.
Niemals würden wir von uns aus angreifen, geschweige denn, einen anderen
gezielt und mit Absicht verletzen. Wir besitzen einfach nicht die dazu
notwendige Niedertracht.
Hätte ich damals gewußt, was auf mich zukommt,
ich hätte mich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Doch so verstand
ich nicht, was da vor sich ging und hielt mich neugierig dicht in ihrer
Nähe. In der Zwischenzeit waren die einzelnen Gruppen der Humanoide
in Bewegung geraten und hatten sich in großen Lagern mit vielen Zelten
gesammelt. Ich bemerkte, daß es bei der Kleidung der Gruppen Unterschiede
gab: Die eine Gruppe trug vorwiegend rote Kleidung, die andere trug fast
nur Schwarz. Daß es sich dabei um zwei feindliche Heere handelte
verstand ich erst viel später.
Eines Tages, als sich alle Gruppen zu zwei großen
Horden zusammengezogen hatten, begann die Schlacht. Aufgeregt kreiste ich
über ihnen und hatte nicht die geringste Ahnung, was da überhaupt
vor sich ging. Ich flog tiefer, in der Hoffnung etwas von dem zu verstehen,
was die berittenen Männer, die die Schlacht beobachteten, den kämpfenden
Fußtruppen zuriefen. Ich konzentrierte mich so darauf, ihre Parolen
zu verstehen, daß ich nicht mehr auf meine Sicherheit achtete.
Da traf mich mit einem Mal ein brennender Pfeil in den rechten
Flügel und zerfetzte die Flughaut. Mein Schrecken war weit größer,
als der Schmerz, denn der Pfeil hatte ein klaffendes Loch hinterlassen
und ich hatte Mühe mich in der Luft zu halten.
Mit kräftigen Flügelschlägen versuchte
ich verzweifelt Höhe zu gewinnen, um mehr Wind unter die Flügel
zu bekommen. Endlich gelang es mir und unter den erschreckten und wütenden
Rufen der Einheimischen flog ich eine enge Kurve und verschwand über
den Wipfeln eines nahen Waldes. Dort glaubte ich mich bereits in Sicherheit,
als mich der Bolzen einer Armbrust in das Ellenbogengelenk meines linken
Flügels traf.
Diesmal waren die Schmerzen fast unerträglich und
für einen Moment hätte ich beinahe das Bewußtsein verloren.
Das Gelenk war vollkommen zerschmettert worden und ich fiel wie ein Stein
Richtung Erde.
Noch etwa neunzig Meter trennten mich von einem schnellen
Tod durch den Aufprall, oder von einem langsamen Tod durch die Waffen der
Einheimischen. Ich konnte bereits ihre haßerfüllten Gedanken
fühlen und mich erfaßte blankes Entsetzen bei der Vorstellung,
von ihnen gefangen und gefoltert zu werden.
-Noch fünfzig Meter!
Ich faste den Entschluß, eine ungeziehlte Teleportation
zu wagen. Schließlich hatte ich kaum noch etwas zu verlieren und
eine andere Möglichkeit der Rettung gab es nicht. Also schloß
ich meine Augen und versuchte mich darauf zu Konzentrieren, mich so weit
wie möglich von diesem Ort zu entfernen. Ich hatte bereits die Befürchtung,
daß es diesmal nicht funktionieren würde, als ich endlich das
vertaute Gefühl bekam, daß alles um mich herum verschwand. Die
Teleportation war gelungen - etwa zehn Meter über dem Boden!
Ich materialisierte ungefähr zehn Meter über dem Boden.
Einen Sekundenbruchteil später erfolgte der Aufprall.
Doch seltsamerweise verlief er anders als gedacht:
Ich durchschlug mit hoher Geschwindigkeit eine unerwartet
weiche Oberfläche und versank gut einen Meter tief im darunter befindlichen
Schlamm. Dieser Schlamm war zwar sehr nachgiebig, aber gleichzeitig auch
von äußerst zäher Konsistenz. Nur mit Mühe gelang
es mir deshalb, mich aus dem kleinen Krater zu befreien, den ich geschlagen
hatte. Als ich den faulig stinkenden blauschwarzen Morast aus Mund und
Augen entfernt hatte, bekam ich endlich die Möglichkeit mir anzusehen,
wo ich gelandet war:
Die Oberfläche des Bodens war überall mit einer
gut dreißig Zentimeter dicken Moosschicht überzogen. Sie wirkte wie ein endloses grasgrünes Lammfell,
das über größeren und kleineren Hügeln lag, welche
früher wohl einmal Felsen gewesen sein mochten. Aus diesem gigantischen
Moosfell ragten, mal vereinzelt, mal in Gruppen, uralte verkrüppelte
Bäume Sie mußten schon vor sehr langer Zeit abgestorben sein,
denn ihre Rinde war verschwunden und das nackte weißgraue Holz lag
blank. Scheinbar hatte der Morast die Baumleichen irgendwie konserviert
und sie in bizarre Skulpturen verwandelt. In diesem toten Wald war absolut
kein Laut zu hören, außer meinem eigenen Atem. Über allem
wölbte sich ein Himmel, der ebenso albtraumhaft war, wie der Boden
unter meinen Füßen:
Obwohl es Tag war, war es nicht heller, als in einer
Vollmondnacht und die Sonne war hinter den schweren und bedrohlich tiefhängenden
Wolken kaum zu erahnen. Ich war mir sicher, an diesem Ort noch nie gewesen
zu sein. Dies konnte unmöglich die gleiche Welt sein, die ich eben
verlassen hatte. Denn dort gab es keine Orte wie diesen. Mich schauderte,
aber nicht, weil meine Kleidung vollkommen durchnäßt war, sondern
weil mir langsam bewußt wurde, daß ich mich gerade von einer
Welt zu einer anderen teleportiert hatte! Nie hätte ich vermutet,
daß in mir derartige Kräfte schlummerten! Ich beschloß,
mir später weitere Gedanken darüber zu machen und nun erstmal
diesen unheimlichen Ort zu verlassen. Ich befreite zuerst mühsam meine
Stiefel, die in dem Schlammloch steckengeblieben waren und leerte sie,
so gut wie möglich, aus. Einen so widerwärtigen Schlamm hatte
ich noch nie gesehen, geschweige denn gerochen. Ein Abwasserkanal `duftete´
dagegen wie eine Parfümerie!
Während ich mir meine Stiefel wieder anzog machte
ich mir Gedanken über meine Flügel. Im rechten Flügel klaffte
ein riesiges Loch, dessen Ränder versenkt waren, doch verglichen mit
dem linken befand er sich in einem guten Zustand. Das Ellenbogengelenk
des linken Flügels war nur noch ein Klumpen aus knochigem Brei, an
dem der Flügel herabhing, als wäre er ein Fremdkörper. Ich
zerriß einen Ärmel meines durchnäßten und vor Dreck
starrenden Hemdes und band mir damit den Flügel an den Leib, damit
er nicht noch völlig abriß. Doch ich zweifelte ernsthaft daran,
je wieder fliegen zu können. Außerdem gab es da noch ein weiteres
Problem, das mich beschäftigte:
Der Schlamm war sicher mit Fäulnisbakterien verseucht
und meine Verletzungen waren tief. Es bestand also ohne weiteres die Möglichkeit
einer Blutvergiftung - und das ohne Aussicht auf irgendeine Hilfe! Zudem
begann mein Instinkt für Gefahren mich zu warnen. Ich hatte zwar nicht
die geringste Ahnung vor wem oder was mich mein Instinkt warnte, aber er
hatte mich noch nie getrogen und meine Beunruhigung bezüglich dieses
Ortes nahm weiter zu. Die pochenden Schmerzen in meinem Flügel ignorierend
beeilte ich mich, diesen unheimlichen toten Wald zu verlassen.
Vorsichtig setzte ich Schritt um Schritt auf diesen seltsamen
und trügerischen Boden. Zuweilen wogte das Moos unter mir, als würde
ich über ein Wasserbett laufen. Wäre ich nicht so ein Leichtgewicht,
wäre ich mit Sicherheit ständig eingebrochen. Doch so kam ich
zwar langsam doch stetig voran. Einige Stunden waren vergangen. Noch immer
warnte mich mein Instinkt vor einer Bedrohung, die ich zwar nicht sehen,
dafür aber deutlich spüren konnte. Irgend etwas beobachtete mich
und dieses Etwas wußte, daß ich verwundet war. Vergeblich versuchte
ich meine aufsteigende Angst zu verbergen und begann zu zittern, wie ein
frierendes Tier. Mir war nur allzu bewußt, daß ich eine schwache
und einfache Beute war, denn eine Möglichkeit zur Flucht besaß
ich nicht. Zitternd und mit weichen Knien erklomm ich einen besonders hohen
Mooshügel, in der Hoffnung, vielleicht den Rand dieses verfluchten
Waldes zu erspähen oder wenigstens meinen Beobachter. Doch diese Hoffnung
erfüllte sich nicht. Unschlüssig verharrte ich auf dem Hügel
und lauschte in die bedrohliche Stille. Beinahe hätte ich in diesem
Moment resigniert. Ich war verletzt und mit meinen Kräften fast am
Ende, außerdem machten sich bereits die ersten Anzeichen der Blutvergiftung
bemerkbar. Aber noch während ich über mein baldiges Ende nachdachte,
bemerkte ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung hinter mir. Reflexartig
rollte ich mich blitzschnell zur Seite. Im ersten Moment dachte ich, ein
Ast von einem der toten Bäume, die um den Hügel standen, wäre
abgebrochen. Doch ein Ast besaß weder Hand noch Finger und hätte
auch nicht nach mir gegriffen! Ich entkam der riesenhaften Hand nur um
Haaresbreite, indem ich mit einem weiten Satz vom Hügel sprang. Trotz
meines schlechten Zustandes landete ich auf den Füßen und blickte
erschrocken zum Hügel zurück.
Der gut drei Meter lange Arm mit der klauenhaften Hand
tastete den Platz ab, wo ich eben noch gesessen hatte. Aber die Hand erwischte
nichts als Moos. Dann verharrte sie für eine Sekunde, ballte sich
wütend zusammen und verschwand wieder im Hügel. Mir stockte der
Atem und wie gebannt starrte ich auf den Berg aus Moos. Wie groß
mußte wohl mein Angreifer sein, wenn sein Arm bereits solche Ausmaße
hatte?
Doch statt auf den Hügel hätte ich lieber auf
den Boden unter mir achten sollen, denn obwohl ich völlig stillstand,
begann er plötzlich, sich zu bewegen! Erneut sprang ich hoch in die
Luft und landete einige Meter weit entfernt. Diesmal allerdings war ich
nicht weit genug gesprungen!
Etwas zerteilte von unten her das dicke Moos und riß
mich von den Beinen. Während ich verzweifelt versuchte, mich aus der
Schlammgrube zu befreien, erkannte ich mit Schrecken, was dieses Etwas
war:
Ein baumstammdicker, etwa fünf Meter langer, mit
knochenplatten besetzter Schwanz, ähnlich dem eines Drachen.
Bloß endete dieser hier in einer dicken Haarquaste.
Gerade hatte ich mich mühevoll aus dem Schlammloch befreit, als der
Schwanz dicht neben mir auf den Boden niederschlug. Möglicherweise zum allerletzten Mal...
Durch die Druckwelle wurde ich wie ein Floh durch die
Luft gewirbelt und landete glücklicherweise außer Reichweite.
Halb bewußtlos und mit zitternden Knien kam ich langsam wieder auf
die Beine, doch nur, um mich erneut auf den Boden zu werfen. Diesmal war
die Hieb in Kopfhöhe über mich hinweggefegt und hatte einen Baum,
der sich neben mir befand, in staubfeine Sägespäne zermahlen.
Vorsichtig, auf Händen und Knien, kroch ich rückwärts über
den wankenden Boden, um endlich etwas Abstand zwischen mir und dem sicheren
Tod zu bekommen. -Es schien zu funktionieren. Der Schwanz peitschte noch
mehrmals hin und her, dann versank er wieder im Schlamm. Für einen
kurzen Moment herrschte völlige Stille...
Doch was dann geschah, übertraf selbst meine schlimmsten
Erwartungen. Mein Schrecken war noch größer, als meine Erschöpfung
und mit der Kraft der Verzweiflung kam ich wieder auf die Beine.
Der gesamte moosbewachsene Hügel, auf dem ich eben
noch gesessen hatte, war in Bewegung geraten. Der lange Arm, der nach mir
gegriffen hatte, erschien wieder. Dann bohrte sich auf der anderen Seite
des Hügels ein weiterer Arm durch das Moos. Eine halbe Sekunde später
durchbrach ein weiteres mächtiges Armpaar den dichten Bewuchs, kurz
darauf ein Drittes. Insgesamt schien dieses Wesen also Sechs Arme zu haben,
wobei jedes Paar etwas kürzer war, als das davor. Dann begannen die
Arme langsam das Moos von dem Hügel herunter zu ziehen. Unter den
Flechten wurde eine Art Umhang sichtbar, der aus größeren und
kleineren Lederflicken bestand, die grob zusammengenäht waren. Dieser
Umhang hatte gut und gern die Größe eines kleinen Zeltes und
wölbte sich über einem enormen gekrümmten Rücken, ähnlich
dem eines Käfers. Über die Mitte dieses Rückens, bis hin
zur Schwanzquaste zogen sich flache Knochenhöcker, die durch Löcher
aus dem Umhang herausragten. Die Beine, die unter dem Umhang und durch
den tiefen Morast kaum zu erkennen waren, waren angewinkelt, wie bei einer
Kröte und konnten den schweren Leib nur mühsam bewegen. Widerlich
schmatzende Geräusche ertönten, als sich der massige Körper
in Bewegung setzte und eine träge Wendung vollführte. Der riesenhafte
Schwanz wurde, bald über, bald unter der Oberfläche durch den
Schlamm gezogen und geriet schließlich außer Sicht. Dafür
drehte sich mir nun der Kopf des Wesens entgegen. Genauer gesagt erschien
eine enorme Kapuze in meinem Blickfeld, unter der ich den Kopf vermutete.
In der Öffnung der Kapuze war nur Dunkelheit, in der ein breites Maul
mit dolchartigen Zähnen zu erahnen war.
Sehr langsam und mit tödlicher Beharrlichkeit begann
der riesenhafte Käfer sich auf mich zu zubewegen. Unaufhaltsam bahnte
er sich seinen Weg durch den tiefen Schlamm in meine Richtung, während
dicke Speichelfäden aus seinem Maul rannen. Vor Schwäche und
Entsetzen torkelnd und unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, wich
ich zurück.
Der Abstand schmolz bedenklich, obwohl ich mich leichtfüßig über die Moosdecke bewegte, während sich der Käfer mühsam durch den Morast pflügen mußte. Wäre ich gestolpert, oder eingebrochen, hätte das in diesem Moment mein Ende bedeutet, doch die Geister meiner Vorfahren behüteten meine Schritte und leiteten mich sicher durch das Geflecht aus Wurzeln und Moos. Immer weiter wich ich zurück und langsam wurde mir klar, daß ich schneller war, als mein Verfolger. Nun, da er seine Deckung verlassen mußte um mich zu kriegen und ich ihn sehen konnte, war es ein Leichtes, ihm auszuweichen.
Ein kleiner Funken Zuversicht begann in meinem Verstand
zu erglimmen und ich schöpfte neue Hoffnung. Um seine Absichten besser
Voraus zu sehen, versuchte ich, die Gedanken des Käfers zu lesen.
Doch zu meiner Verwunderung war sein Geist abgeschirmt, so daß ich
seine Gedanken nicht lesen konnte. Diese Fähigkeit besaßen sonst
nur intelligente und telepatisch begabte Lebewesen, nicht aber blutrünstige
Monster. Ich wich währenddessen immer weiter zurück und achtete
sorgsam darauf außerhalb der Reichweite seiner Klauen zu bleiben.
Gerade hatte ich eine enge und steile Senke durchquert. Mein Verfolger
zögerte kurz, setzte sich dann aber wieder in Bewegung.
- Das war sein Unglück! Mit einem seiner Beine blieb
er an einer Wurzel hängen, die sich dicht unter dem Moos spannte.
Durch seine eigene Masse verlor er das Gleichgewicht und rutschte kopfüber
in die Senke, die gerade groß genug war für seinen mächtigen
Leib. Hilflos zappelnd versank er tief im zähen Morast, wobei seine
Unterseite sichtbar wurde, als sich der Umhang zur Seite zog. So wehrhaft
sein Rücken wirkte, so schutzlos war seine Unterseite:
Eine zarte, weißblaue Haut spannte sich straff
über einen immensen weichen Bauch. Große und kleine Adern pulsierten
darüber. Langsam erstarb das verzweifelte Zappeln des Käfers,
als er erkennen mußte, das er gefangen war. Seine Bewegungen erlahmten
und erschöpft gab er auf. Nur noch der mächtige Brustkorb mit
den deutlich sichtbaren Rippen hob und senkte sich. Sein Atem rasselte
matt. Am Rande der Senke stehend hatte ich zugesehen und abgewartet, bis
sich der Käfer nicht mehr bewegte. Ich wartete noch eine Weile, dann
hüpfte ich hinunter und landete mitten auf dem weichen Bauch. Der
wackelte sogar noch mehr, als der Moosboden und ein kurzes Zittern ging
durch den mächtigen Leib. Mit beherzten Schritten lief ich über
den wogenden Bauch, bis ich den Brustkorb erreichte.
Auf dem Brustkorb ließ ich mich einige Male heben
und senken, bis ich zum Hals weiter ging. Wieder durchzog ein Zittern den
mächtigen Körper.
Offensichtlich erwartete mein unglücklicher Verfolger
nun von mir, daß ich ihm die Kehle durchschnitt, oder etwas ähnliches.
Ausgiebig betrachtete ich mir den langen faltigen Hals, durch den ich hätte
in den Magen wandern sollen. Doch nun hatte sich das Schicksal gewendet
und der Jäger war zur Beute geworden. Was sollte ich nun tun? Ich
war keine Jägerin und er alles andere, als eine Beute. Er kannte sich
sicher an diesem Ort aus und das könnte mir nützlich sein, denn
ich fühlte bereits deutlich das Fieber der Blutvergiftung in mir aufsteigen.
Da meine Angst nun verflogen war, merkte ich um so deutlicher meine Erschöpfung.
Nein, ich war auch nicht zornig. Und da mir Gefühle
wie Haß oder Rache unbekannt sind, sah ich keinen Grund, dieses Wesen
zu töten.
Ich hüpfte also über Hals und Kopf hinweg und
landete etwas ungeschickt vor seinem Gesicht. Dadurch, daß der Käfer
jetzt auf dem Rücken lag, war die Kapuze nach hinten gerutscht und
ich konnte es nun deutlich erkennen:
Die Hautfarbe in seinem Gesicht war beige-braun und die
Oberfläche ledern und von tiefen Falten durchzogen. Die Form des Schädels
war irgendwie tierhaft, doch glich sie keinem Tier, das ich kannte. Der
Kopf war kahl, er besaß weder Haare, noch Schuppen oder Federn. Kurz
gesagt, ein grobes, bedrohliches und wenig einladendes Gesicht mit einem
Mund, oder besser gesagt Maul, in das ich bequem hineingepaßt hätte.
Aber dann öffnete das Wesen seine Augen, die so gar nicht in dieses
holzschnittartige Gesicht zu gehören schienen:
Jedes dieser Augen war halb so groß, wie mein Kopf.
Sie hatten eine rotgoldene Farbe, mit einem metallischen Schimmer auf ihrer
Oberfläche. Sie wirkten weder aggressiv, noch tierhaft.
Noch einmal versuchte ich eine telepatische Kontaktaufnahme.
Diesmal gab es keine Blockade: Dieses Wesen war alt, uralt. Es war intelligent
und zivilisiert, - jedenfalls auf seine eigene Weise. Und es gehörte
so wenig an diesen Ort, wie ich. Deutlich fühlte ich seine Einsamkeit
und seine Verzweiflung - und seinen großen Hunger, der fast alle
anderen Gefühle überdeckte. Dein praller Bauch war nicht voller
Nahrung, sondern voller Wasser. Doch ein Wesen von seiner Größe
brauchte viel Nahrung und an einem Ort wie diesem durfte man nicht wählerisch
sein. - Ich verstand: Wir waren beide in einer verzweifelten Lage und kurz
davor, einen langsamen und elenden Tod zu sterben. Nachdenklich ließ
ich mich dicht vor seinem Gesicht auf den Boden sinken. Mein Fieber war
weiter gestiegen, aber noch war ich in der Lage einigermaßen klar
zu denken. Vernünftigerweise hätte ich mir wohl lieber Gedanken
über mein eigenes Wohlergehen machen sollen. Doch alles, woran ich
denken konnte war, wie ich diesen Koloß aus der Senke befreien konnte.
"Wenn ich nur ein Seil hätte", murmelte ich gedankenversunken
vor mich hin. "Was dann?" kam eine vollkommen unerwartete Antwort mit einer
Donnerstimme. Für einen Moment war ich so verwundert, daß ich
nicht wußte, wer mir da geantwortet hatte. Dabei lag der Sprecher
direkt vor mir und blickte mich mit seinen großen alten Augen an.
Als mir klar wurde, wessen Stimme ich gehört hatte, fragte ich verwundert
zurück: "Du sprichst?" Ein schauerliches Grinsen zog den Mund noch
mehr in die Breite und gut zehn Zentimeter lange Zähne wurden sichtbar.
"Natürlich spreche ich, du Floh. Aber nicht mit meinem Essen. - Das
verdirbt den Appetit!" Sein gurgelndes Lachen ließ den gesamten Boden
erzittern und ich wurde heftig durchgeschüttelt. Also gut. Da waren
wir nun. Der Käfer und ich, weder Feind noch Beute und wohl oder übel
auf die Hilfe des anderen angewiesen. Dank seiner Anweisungen schaffte
ich es in den kommenden Stunden tatsächlich, aus den Fasern einiger
Wurzeln ein dickes Seil zu drehen und fest an einem der Felsen zu verankern.
Mein Zustand hatte sich währen dieser Zeit deutlich verschlechtert
und mehrmals verlor ich das Gleichgewicht und fiel in den aufgewühlten
Schlamm. Nur die mächtige Stimme des Käfers ließ mich wieder
aufstehen und weitermachen. Mit letzter Kraft warf ich ihm schließlich
das Seil zu und hoffte, daß es ihm gelingen würde, sich aus
der Senke zu befreien. Mit sechs Armen, dachte ich noch, sollte das eigentlich
kein Problem sein. - Dann verlor ich endgültig das Bewußtsein..."
Nun ja, sie hat es ja wohl offensichtlich überlebt,
sonst hätte sie die Sache auch kaum selbst aufschreiben können.
Natürlich hat sich der Käfer aus dem Loch befreit, und natürlich
hat er ihr danach geholfen, die Blutvergiftung zu überstehen - auf
seine zarte und sanftmütige Weise, - natürlich! Shack hat seine
Behandlung Aufgrund ihrer ungewöhnlich robusten Natur recht gut überstanden
und, wie heißt es doch so schön? - `Dies war der Beginn einer
wunderbaren Freundschaft.´
Die Welt, auf der sie dem Käfer begegnet war, nannte
sie später `Dark Side´, weil es dort nie richtig hell wurde
und sich einige, recht zwielichtige Kreaturen dort aufhalten, die man sonst
nur aus Alpträumen kennt. Ihr großer, sechsarmiger Freund half
Shack, besser mit ihren Kräften umzugehen und er lehrte sie auch,
zu kämpfen. - Oder sagen wir besser: Sie lernte, ihm auszuweichen!
Über die Freundschaft zwischen Shack und dem Käfer
gäbe es noch eine Menge zu erzählen, aber nicht diesmal.
Ich bin jedenfalls froh, wieder an meinen Computer zu
dürfen und wenigstens das Schlußwort zu schreiben! Gewisse gestiefelte
Fledermäuse haben jetzt übrigens nach der ganzen Schreiberei
fürchterliche Rückenschmerzen und eine ganz verkrampfte Flugmuskulatur.
Noch liegt sie hier jammernd am Boden, aber ich ahne
schon, wer ihre Verspannungen in mühevoller Kleinarbeit wegmassieren
darf - ich!
Na gut, aber ich will ja nicht so sein. Dafür stehen
meine Chancen wohl ganz gut, bei der nächsten Geschichte mehr schreiben
zu dürfen. (Vielleicht wird sie dann auch etwas spannender, hö,
hö, hö!) - Hey, autsch, aua! - Nimm sofort deine Flügelkralle
aus meiner Nase! - Du meine Güte, manchmal ist sie einfach zu empfindlich!
Und Kritik kann sie auch keine vertragen! - Hey, autsch,- Mist!!!
Na toll, jetzt hab` ich einen fetten Kratzer auf dem
Bildschirm. Na herrlich! Das habe ich nun von meiner Lästerei.
- Leute, ich warne euch, ladet euch bloß nie eine
1,60 cm große Fledermaus zu euch nach Hause ein!