"Hallo, ihr flügellosen Nacktrücken!
Diesmal habe ich mich mit meiner Menschenfreundin darauf geeinigt,
daß ich das Vorwort schreibe und sie dafür die Geschichte. Auf
diese Weise kommen wir uns nicht in die Quere. Meine Aufgabe ist es, euch
die Personen und Schauplätze vorzustellen, die ihr bisher noch nicht
kanntet. Also paßt gut auf und hört genau zu:
Da wäre zuerst einmal Cija, meine älteste Tochter.
Sie wurde ´gezeugt´, als ich auf einer fremden Welt
eine schwerverletzte Frau heilen wollte, von der ich nicht wußte,
daß sie telepatische Fähigkeiten besaß. Es kam zu einer
geistigen Verschmelzung und, naja, das Ergebnis war dann eben Cija.
Kommen wir nun zu Akal, dem Verbannten.
Er war ein angesehener Wissenschaftler und lebte auf der alten Heimatwelt
der Getaner zu der Zeit in der auch die Geschichte handelt, die ihr gleich
lesen werdet. Er war der Einzige, dem aufgefallen war, das die großen
Transportschiffe falsch konstruiert worden waren und zu viel Treibstoff
verbrauchen würden. Vergeblich versuchte er, sich Gehör zu verschaffen.
Schließlich sabotierte er in seiner Verzweiflung den Antrieb von
einem der Schiffe. Dummerweise wurde er dabei erwischt und es kam zu einem
Handgemenge, in dessen Verlauf der andere Getaner in die Antriebskammer
stürzte und umkam. Für dieses Verbrechen wurde Akal auf einem
einsamen und unbewohnten Planeten ausgesetzt.
Viele tausend Jahre später fand ich ihn dort und nahm ihn mit.
Durch die lange Isolation hatten sowohl sein Geist als auch sein Körper
schwer gelitten.
Dann wäre da noch Tiriki, die Scriptorin.
Sie gehört zu den ältesten Getanern überhaupt. Nur
ihr Bruder ist noch älter. Tiriki besitzt fast grenzenlose telepatische
und seherische Fähigkeiten, wegen denen sie auch zur Scriptorin berufen
wurde. Durch ihre außergewöhnliche Begabung nimmt sie am Leben
eines jeden Getaners teil und schreibt Abschnitte davon in ihren magischen
Büchern nieder. Vor langer Zeit, als es so schien, als wären
alle Flieger ausgestorben, wurde Tiriki von unbekannten Söldnern überfallen.
Als sie nichts von Wehrt bei ihr fanden schlugen sie sie vor Zorn beinahe
tot. Dabei verlor sie ein Auge, ihre Flügel wurden zerfetzt und eines
ihrer Beine derart gebrochen, daß es steif blieb.
Diese Untat geschah in den heiligen Hallen, einem Ort, der
genauso legendär und geheimnisvoll ist, wie die Scriptorin
selbst. Damals war der Tarnschild der Hallen wegen mangelnder Wartung
aus gefallen und Tiriki war vollkommen schutzlos. Eigentlich sind die Hallen
ein riesiges Raumschiff, das allerdings nicht aussieht wie ein Schiff,
sondern wie mehrere ineinander übergehende Gewölbe. Sie erstrahlen
in einem mamorhaften weiß und beherbergen das gesamte Archiv der
Geschichte meines Volkes.
Zum Schluß noch ein paar Worte über B.R.O.G.,
die Raumstation. Wie würdet ihr Menschen es ausdrücken? – Da
geht echt voll was ab, ey! – Nun, ich sage, auf dieser Station leben sehr
viele unterschiedliche Lebensformen. Die wenigsten davon sind humanoid
und zu behaupten, dort ginge es chaotisch zu wäre eine glatte Untertreibung.
Ich habe dort für einige Zeit bei der Sicherheit gearbeitet. Später
war ich dann Captain auf einem Ausbildungsschiff, bis mich andere Verpflichtungen
in Anspruch nahmen.
Nun ja, das wäre eigentlich auch schon alles. Jetzt kann ich
nur noch eines tun:
Ich wünsche euch viel Spaß und gute Unterhaltung!"
Vor einiger Zeit hatte Shack Akal und Cija zu den heiligen Hallen geführt.
Akal war aufgeregt und nervös wie ein junger Flieger gewesen. Cija
dagegen ruhig und gefaßt.
Bald darauf verließ Shack die Hallen wieder und stattete der
Erde einen kurzen Besuch ab. Dort blieb sie einige Wochen, danach entschied
sie sich, nach B.R.O.G., einer Raumstation, zu fliegen.
Als sie nach der Landung ihres Schiffes ausgestiegen war und durch
den Ausgang des Hangars gehen wollte, stieß sie mit Cija zusammen.
"Oh, hallo Matahrr! Ich war wohl etwas zu schnell."
"Nanu Cija, was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst noch
in den Hallen."
Die junge Fliegerin sah ein wenig verlegen beiseite. " Ach weißt
du, die Hallen sind wirklich ganz wunderbar, aber ..., naja, es ist mir
irgendwie zu ruhig dort. Ich denke, ich bin zu jung, um es dort länger
auszuhalten."
Shack sah sie verständnisvoll an. "Oh ja, ich weiß genau
was du meinst, mir geht es ähnlich. – Allerdings halte ich es nirgendwo
lange aus."
Die beiden Getaner gingen langsam den Korridor entlang, der zum Aufzug
führte, fuhren mit ihm hinunter zur B-Ebene und begaben sich in ihren
privaten Aufenthaltsraum. Dort unterhielten sie sich noch ein wenig und
Shack erfuhr, daß Akal in den Hallen geblieben war und offensichtlich
den Platz des Technikers eingenommen hatte. Cija meinte, er und Tiriki
verstünden sich prächtig, wobei sie vielsagend die Augenbrauen
hob.
Shack mußte ein wenig lächeln, als sie sich erinnerte, wie
aufgeregt Akal geworden war, als sie zum ersten Mal von den Hallen erzählt
hatte. Es wunderte sie nicht im Geringsten, daß er dort geblieben
war.
Cija schien diese Tatsache allerdings weniger positiv aufzunehmen,
denn in ihren Worten schwang ein leicht vorwurfsvoller Ton mit und schließlich
fragte sie sogar, wie sie es nun ohne den alten Getaner auf B.R.O.G. aushalten
sollte. Es würde jetzt bestimmt sehr viel langweiliger sein, ohne
Akal. Shack schlug ihrer Tochter daraufhin vor, doch eine Ausbildung anzufangen.
Allerdings konnte sie sich, genauso wenig wie Cija, vorstellen, in welchem
Bereich. Doch der Gedanke schien ihrer Tochter irgendwie zu gefallen.
Sie plauderten noch etwas und Cija erzählte ihrem Matarr den neuesten
Stationsklatsch. Dann aber entschied sich Shack, B.R.O.G. wieder zu verlassen
und zu den Hallen zu fliegen. Sie wollte nachsehen, wie Akal und die Scriptorin
zurecht kamen und ein bißchen in der Bibliothek stöbern. Die
Vorstellung behagte ihr sehr und nachdem sie sich von ihrer Tochter verabschiedet
hatte, machte sie sich sogleich auf den Weg.
Als Shack mit ihrem Schiff durch das All flog, fragte sie sich, ob der
alte Getaner wohl das Tarnfeld wieder repariert hatte und, falls ja, ob
sie die heiligen Hallen trotzdem finden würde. Nun, zu ihrem Glück
war Akal mit der Reparatur noch nicht ganz fertig. Allerdings waren die
Hallen aus der Ferne nur noch schwach und unscharf zu erkennen und die
Fliegerin war froh, daß sie sich noch so genau an die Koordinaten
erinnert hatte.
Von Nahem wirkten die Hallen wie eh und je ehrfurchteinflößend
und verzaubernd. Ihr weißblaues Licht erzeugte eine innere Wärme
und trotz ihrer großen Dimensionen wirkten sie weder leer noch abweisend.
Nachdem Shack ihr Schiff auf einer Plattform gelandet hatte und sie
gerade ausgestiegen war, kam ihr bereits Tiriki entgegen. Shack wunderte
sich, weil sich die Scriptorin selten so weit außerhalb der Gebäude
bewegte. Normalerweise hielt sie sich immer in Reichweite der Bibliothek
auf. Nun, wenigstens hatte sie ein Buch und ein Schreibgerät mitgenommen.
Sie humpelte an Shack heran und sie begrüßten sich freundlich.
Dann fragte Shack die Scriptorin: "Gibt es einen besonderen Grund, weshalb
du so weit von den inneren Hallen entfernt bist? Und wo ist eigentlich
Aka...aah!" - Plumps!!!
Mit einem erschrockenen Aufschrei war sie auf ihrer Rückseite
gelandet, nachdem sie über ein Werkzeug gestolpert war. Mit mitleiderregender
Miene sah sie hinauf zu Tiriki, die nur hilflos mit den Schultern zuckte.
Langsam verstand Shack: "Oh oh, Akal hat die Heimwerkerlust erfaßt,
was? Naja, ich schätze, das wird sich nah einiger Zeit wieder geben."
"Hoffentlich!", seufzte Tiriki und mit vereinten Kräften wagten
sie sich zur Bibliothek. Herumliegende Werkzeuge wiesen ihnen den Weg uns
sie hörten schon von Weitem Geklapper, Gekratzte und die unmöglichsten
anderen Geräusche.
Als sie in dem großen Raum ankamen bot sich ihnen ein Bild der
Verwüstung:
Akal hatte sich mit Hilfe eines Gurtes an die Wand geheftet und die
Drähte und Leitungen, die darunter verliefen größtenteils
freigelegt. Jetzt überbrückte, verband und verkabelte er den ganzen
Leitungswust nach Leibeskräften. Tiriki seufzte erneut.
Nachdem sich Shack wieder gefaßt hatte, brachte sie den arbeitswütigen
Techniker mit größten Überredungskünsten dazu aufzuhören
und er willigte ein, eine kleine Pause zu machen. Tiriki dankte ihr lautlos
und lenkte Akal mit sanfter Gewalt in einen Nebenraum, wo sie ihm Gapatta,
das traditionelle Getränk der Getaner, anbot. `Das wird ihn sicher
für einige Stunden von seiner Arbeit abhalten´, dachte Shack
schmunzelnd.
Sie selbst verzichtete auf eine Erfrischung und wandte sich lieber
den Büchern zu. Sie wußte, daß Tiriki Akal so lange wie
möglich ablenken würde und so war sie jetzt allein in der Bibliothek
und hatte viel Zeit zum Lesen. Willkürlich nahm sie eines der hohen
schmalen Bücher aus dem Wandregal, das bis unter die Decke reichte,
dann setzte sie sich genüßlich nieder und schlug es auf.
Sogleich stieg ein leuchtender Nebel aus den Seiten empor und Formte
sich zu Bildern, die eine alte und längst vergangene Geschichte erzählten
...
Eine große grazile Gestalt hob sich dunkel gegen den blauen Hintergrund
des weiten Himmels ab. Elegant zog der schemenhafte Körper mit den
mächtigen Schwingen durch das endlose Blau. Doch flog er nicht einfach
dahin, oh nein, er beschrieb dabei kunstvolle Figuren und vollführte
tollkühne und atemberaubende Manöver. Trotz dem vom Boden aus
nur ein Schatten zu sehen war, ließ sich doch erkennen, daß
der Flieger ein Kostüm trug. Lange bunte Bänder waren an seinen
Flügeln, seiner Hüfte und den Füßen befestigt, die
laut in der Luft flatterten. Außerdem trug er etwas auf dem Kopf,
daß aus der Ferne wie ein Helm oder eine Maske aussah. Der Getaner
mußte ein Flugtänzer sein. Der Flug- oder Lufttanz ist eine
uralte Kunst der Getaner, Geschichten in symbolhaften Figuren, wie bei
einem Schauspiel, darzustellen. Dieser Flieger beherrschte jene uralte
Kunst fast perfekt. Jetzt beschrieb er in der Luft einen weiten Kreis,
vollführte dann mit gestrecktem Körper zwei langsame Überschläge
und ließ sich dann kopfüber in die Tiefe trudeln. Hundert Meter,
fünfzig Meter und er fiel immer schneller. Gehörte das noch zur
Darstellung oder hatte er die Kontrolle verloren?
Noch zwanzig Meter, noch zehn. Ein dumpfer Aufschlag, begleitet vom
Knacken vieler Äste eines Gebüsches, beendete die Übung.
Glücklicherweise hatte das dichte Buschwerk den Aufprall abgebremst.
Es raschelte, knisterte und knackte und zwischen den Ästen kroch unbeholfen
doch wohlbehalten die verkleidete Gestalt hervor. Mit lautem Schimpfen
riß sich der Flugtänzer das Kopfstück herunter. Seine Lippen
bebten und Zornestränen standen ihm in den Augen. Sein Gesicht war
ganz deutlich zu erkennen, während er mit auf sich selbst gerichteter
Wut schrie: " Verdammt noch mal! In zwei Tagen ist der Auftritt und ich
komme einfach nicht weiter!"
Shack´s Augen weiteten sich und wurden dunkel, als sie sein Gesicht
zum ersten Mal erblickte. Mit zitternden Händen hielt sie das Buch
fest und es dauerte eine Weile, bis sie wieder weiterlesen konnte.
Sein Gesicht war kantig und scharf geschnitten. Er hatte hohe Wangenknochen
und eine lange geradeverlaufende Nase. Seine Lippen waren schmal, doch
wohlgeformt.
Mühsam stand er auf und klopfte sich den Dreck ab. Er war sehr
groß für einen Getaner, so um die 1.70 cm. Deswegen aber keineswegs
dürr. Seine Schultern waren ziemlich breit und sein Brustkorb kräftig,
seine Beine lang und sehnig. Allerdings stand er auf ihnen etwas unbeholfen
- eben ein typischer Flieger.
Das Haar schimmerte goldbraun und in der Mitte, über der hohen
Stirn, an den Schläfen und hinter den Ohren sprossen ihm pechschwarze
Haarsträhnen, die seinen zerzausten Schopf noch interessanter machten.
Das Fesselndste an dieser ganzen Erscheinung waren aber die Augen. Diese
Augen waren es, die Shack hatten erstarren lassen. Ihre Farbe war von einem
intensiven Violett, das zur Pupille hin ins Purpurne überging. Diese
Augen waren groß und ausdrucksvoll und wunderbar sanft. - Jetzt jedoch
waren sie voller Zorn und Verzweiflung.
Wütend riß sich der unbekannte Flieger das Kostüm herunter,
das aus einfach geschlungenen Tüchern bestand und ebenfalls die restlichen
Bänder, von denen allerdings die meisten in dem Gebüsch hängengeblieben
waren. Unter den Tüchern trug er einen dunkelroten Anzug mit schwarzen
Zierstreifen, schwarzem Federbesatz an den Schultern und Stiefel von der
gleichen Farbe. Immer noch etwas zornig sah er auf das Kostüm zu seinen
Füßen herab. Danach sah er entschlossen zum Himmel empor, wodurch
seine Augen noch faszinierender glitzerten. Dann, mit einem leichten Schwung,
hob er sich wieder in die Luft und begann seine Übung erneut. Er würde
nicht aufgeben, niemals!
Er stürzte an diesem Tag noch achtmal ab und stieg achtmal mit
zusammengebissenen Zähnen wieder auf. Als er es beim neunten Mal endlich
schaffte stieß er einen gellenden Triumphschrei aus und als es ihm
beim zehnten Mal erneut gelang, ließ er sich endlich glücklich
zur Erde niedergleiten. Er war völlig erschöpft und zerschunden,
dafür aber zufrieden mit sich selbst. Nachdem er sich etwas erholt
hatte, flog er nach Hause.
Am nächsten Tag übte er so lange entschlossen weiter, bis
alle Flugfiguren perfekt waren und er das Programm wie im Schlaf beherrschte.
Dann erst war er sich sicher, es gut gemacht zu haben.
Als es Abend wurde flog er zu einem abgelegenen Tal und ließ
sich auf einem abgestorbenen Baum nieder, der sich mit seinen toten Wurzeln
verbissen über einer tiefen Schlucht festhielt. Hierher begab sich
Endoriel immer, um Ruhe und Kraft zu schöpfen. Von seinem Platz aus
konnte er das ganze Tal überblicken. Jetzt wo es langsam dunkel wurde
lag über der Landschaft eine friedvolle und romantische Stimmung.
Er wandte den Blick zum Himmel und schien mit sehnsuchtsvollen Augen die
Sterne zu beschwören und um Kraft für den kommenden Tag zu bitten.
Der Tag kam und die Sterne hatten es offensichtlich gut mit ihm gemeint.
Seine Vorführung war wunderbar. Die Zuschauer jubelten und applaudierten,
indem sie ihre Flügelkrallen gegeneinander schlugen, was ein beinahe
klirrendes Geräusch verursachte. Mit seinem lachenden Gesicht und
dem Triumph in seinen schönen Augen endete die Geschichte von Endoriel
dem Flugtänzer.
Mit einem Knall schlug Shack das Buch zu und hielt es dann, noch immer
mit zitternden Fingen, fest an sich gedrückt.
Langsam, ganz langsam stand sie nach einer Weile auf, wobei sie sich
an der Wand stützte, um nicht umzufallen. Trotzdem wankte sie ganz
bedenklich. Sie tastete sich am Regal entlang und schob das Buch zitternd
an seinen Platz zurück.
Danach hielt sie sich weiterhin an dem Regal fest und sah mit großen
dunklen Augen auf den schimmernden Boden. Das Durcheinander an Gefühlen
in ihrem Inneren spottete jeder Beschreibung. Nie im Leben hätte sie
sich träumen lassen sich derart Hals über Kopf zu verlieben.
Schon gar nicht in jemanden, den es nicht mehr gab, der schon lange tot
war. Nichts war von ihm geblieben, außer der konservierten Erinnerung.
Shack glaubte in ihrem Kopf einen fernen Ton zu vernehmen. Einen leisen
glockenhellen Ton.
Ein gewaltiges, bis dahin unbekanntes Gefühl machte sich in ihr
bemerkbar und begann sich in ihrer Brust auszubreiten. Sie starrte weiterhin
mit verschleierten Augen den blanken Boden an und zu dem fernen glockenhellen
Ton gesellte sich ein nahes rhythmisches Pochen, das von ihren Schläfen
kam.
Sie schrak fürchterlich zusammen, als plötzlich jemand ihre
Schulter berührte. Es war Tiriki. Die alte Fliegerin lächelte.
"Ist es wirklich so schlimm?" fragte sie, nachdem sie Shack´s verschleierte
Augen gesehen hatte.
"Noch schlimmer! Aber wieso ... hast du das etwa alles schon gewußt?"
"Nun, es gibt Dinge, die geschehen. Ich glaube auch zu wissen, was
du als nächstes zu tun gedenkst, aber ich muß dich davor warnen."
Shack sah die Scriptorin erstaunt an. Konnte Tiriki wissen, was sie
tun wollte, noch ehe sie es selbst richtig wußte? Als Tiriki mit
ihr sprach hatte gerade eine Idee begonnen in ihrem Kopf Gestalt anzunehmen.
Eine wahnwitzige und unverantwortliche Idee, aber eine winzige Chance!
Die alte Scriptorin sah Shack sehr ernst an und ihre Stimme klang düster:
" Wenn du wirklich in die Vergangenheit zurückgehst, dann sei dir
der Gefahr bewußt, daß du damit die Geschichte ändern
könntest und das könnte fatale Folgen haben – für uns alle!"
Die Fliegerin hatte ihr gut zugehört und verstanden.
"Tiriki, sag´ mir bitte, was ist nach der Aufzeichnung aus ihm
geworden? Ich meine, wann genau starb er?"
Das verbliebene weise Auge der Scriptorin schloß sich, als sie
sich zu erinnern versuchte. " Es ist so lange her. Ich kann es nicht genau
sagen, aber ich weiß mit Sicherheit, daß er noch vor der Fertigstellung
der großen Flotte und dem Verlassen unserer Heimatwelt ums Leben
kam."
"Tiriki, was ist wenn ich aufpasse, so daß niemand mich sieht
und Nichts die Geschichte ändern kann?"
Die alte Fliegerin sah sie lange an, dann nickte sie stumm und nahm
so von ihr Abschied.
Shack war noch immer zittrig und innerlich aufgewühlt. Sie mußte
sich deshalb zur Konzentration zwingen, damit ihr eine erfolgreiche Raumzeit–Teleportation
gelang. Endlich begann alles vor ihren Augen zu verschwimmen und unwirklich
zu werden...
Als die Konturen wieder klar wurden, befand sie sich nicht mehr in
den heiligen Hallen.
In den folgenden Tagen war Shack nichts weiter als ein unsichtbarer
heimlicher Beobachter von Endoriel. Sie folgte ihm fast auf Schritt und
Tritt, bewunderte seine geniale Begabung als Flugtänzer und ärgerte
sich insgeheim, wenn andere über ihn spotteten, was gar nicht so selten
vorkam. Anscheinend wurde er von niemandem richtig ernst genommen. Die anderen
Getaner hielten ihn für einen Träumer, der nur für seinen
Tanz lebte. Sogar sein eigener Bruder zog ihn damit auf, ein ´Traumtänzer´
zu sein und seine Eltern behielten ihre Gedanken für sich.
Shack war froh, daß niemand sie sehen konnte, weil sie ihr Tarnfeld
aktiviert hatte, denn mal schmolz sie förmlich wegen Endoriel dahin,
dann wieder ärgerte sie sich schwarz über die, die ihn nicht
verstanden. Dabei muß erwähnt werden, daß er den Spott
nie auf sich sitzen ließ und es deswegen oft zu deftigen Streitereien
kam.
Am vierten Tag von Shack´s Beobachterdasein wurde öffentlich
bekanntgegeben, daß die Wissenschaftler der Getaner festgestellt
hatten, daß ihre Heimatwelt bald instabil werden und auseinanderbrechen
würde. Es waren bereits weitreichende Evakuierungsmaßnahmen
im Gange. Es folgte ein Aufruf für alle Wissenschaftler und Techniker
sich an dem Bau der riesigen Transportraumschiffe zu beteiligen.
Endoriel war deswegen sehr niedergeschlagen. Er wollte seine Heimat
nicht verlassen. Vor allem aber nicht den Himmel, den er so liebte und
genauso wenig seine Kunst. Das alles würde nirgendwo mehr so sein wie
hier.
Tief betrübt zog er sich in sein geheimes Tal zurück und
setzte sich traurig auf einen der mächtigen Äste des Baumes über
dem Abgrund. Shack war ihm natürlich gefolgt und hatte es sich ihrerseits
auf einem der Bäume auf dem Hügel vor der Schlucht bequem gemacht.
Von dort aus konnte sie den Flugtänzer gut sehen. Er tat ihr furchtbar
leid, denn nur allzu gut verstand sie seinen Schmerz. Alle Flieger lieben
den Himmel und die Freiheit der Lüfte, für einen wie ihn jedoch
bedeutete es mehr, dies war sein Leben. Und dieses Leben sollte er nun
bald für immer verlassen müssen.
Der Abend senkte sich langsam herab und färbte den Himmel golden.
Ein sanfter Wind ließ die Blätter der bewaldeten Hügel
rauschen und flüstern. Heute aber schien selbst dieser friedliche
Ort Endoriel keinen Trost zu spenden. Die Sonne war untergegangen und das
Gold war dunkleren Farbtönen gewichen. Der Wind war ein wenig stärker
geworden und die Blätter wisperten Geheimnisse. Verzweifelt blickte
Endoriel zum Firmament empor, wo sich bereits die ersten Sterne zeigten.
Allein diese schienen ihm jetzt noch sicher und vertraut. Leise begann
er mit sich selbst zu sprechen. Er sprach öfter mit sich selbst, wenn
er allein war. Der Wind trug die Worte zu ihr herüber: " Wofür
das alles? Wofür habe ich getanzt? Um zu leben? Aber wofür habe
ich dann gelebt? Für den Tanz, nur für ihn? Nein, verdammt! Das
ist doch nicht alles. Das kann doch gar nicht alles sein! Oh ihr Sterne,
ich will hier nicht weg! Es gibt doch nichts anderes für mich."
Der Ast schaukelte leicht im Wind. Es war jetzt fast ganz dunkel geworden.
Nur noch Schatten waren zu erkennen, die sich manchmal bewegten. Endoriel
war in stummer Verzweiflung versunken. Shack konnte ihn trotz der Dunkelheit
immer noch gut erkennen. Sie spürte seine Einsamkeit und Trauer, so
als wären es ihre eigenen Empfindungen. Lautlos lies sie sich von
ihrem Baum herabgleiten und näherte sich der Kuppe des Hügels
soweit, bis dieser steil zur Schlucht hin abfiel. Lange stand sie dort
und betrachtete den abgestorbenen Baum, auf dem der Grund ihres Hierseins
saß. Dann ging sie noch einige Schritte näher, bis sie direkt
vor dem Abgrund stand, dort wo sich die Wurzeln des Baumes im Erdreich
festkrallten. Sie blickte zu ihm hinüber, der ihr den Rücken
zugewandt hatte. Die Sterne strahlten jetzt so hell, daß alles in
ein unwirkliches Licht getaucht war, wie in einem Traum.
Die Fliegerin hatte, seit sie dort stand, ihr Tarnfeld deaktiviert
und wartete nun sichtbar und bewegungslos in seinem Rücken. Augenblicke
vergingen, bis er sich plötzlich umdrehte. Er konnte kaum mehr als
ihre schwachen Umrisse erkennen.
"He, wer ist da? Was willst du von mir?"
Shack trat auf den Baumstamm hinaus und ließ sich dann in einiger
Entfernung von Endoriel nieder.
"Du solltest das alles nicht so schwer nehmen, sondern vielmehr das
Beste daraus machen."
"Das Beste? Ach, was verstehst du schon davon?"
"Nun, vom Tanzen sehr wenig, aber von der Freiheit sehr viel!"
"Wer bist du überhaupt? Du bist nicht aus dieser Gegend, oder?"
"Es spielt keine Rolle, wer ich bin oder woher ich komme. Es geht hierbei
nur um dich. Warum gibst du nicht eine Abschiedsvorstellung bevor alle
den Planeten verlassen müssen? Einen Flugtanz an den sie sich immer
erinnern werden und dessen Schönheit die Schönheit ihrer Heimat
für alle Zeit in ihren Herzen einschließt."
Endoriel war sofort von ihrem Vorschlag eingenommen, denn endlich hatte
er das Gefühl von jemandem verstanden zu werden. Noch während
der Nacht begannen sie gemeinsam eine Biographie für seinen Tanz auszuarbeiten.
Sie sagte ihm auch, daß ihr Erscheinen und ihre Identität unbedingt
geheim bleiben müßten und so versprach er, niemandem von ihr
zu erzählen. Er wollte ihr viele Fragen stellen, doch sie bat ihn,
das nicht zu tun, denn die Wahrheit durfte sie ihm nicht sagen. Aus einem
Grund, den er selber nicht genau verstand vertraute Endoriel der geheimnisvollen
Fremden und so hörte er auf, ihr Fragen zu stellen und begann, einfach
ihre Gegenwart zu genießen. Sie unterhielten sich die halbe Nacht.
Erst spät, kurz bevor die Dämmerung anbrach, trennten sie sich
schließlich und Endoriel flog heimwärts davon. Shack blieb noch
lange auf ihrem Ast sitzen und beobachtete verträumt den Sonnenaufgang.
In den darauffolgenden Tagen übte der Flugtänzer sein neues
Programm ein und Shack beobachtete ihn dabei unsichtbar. Des Nachts trafen
sie sich am Baum über der Schlucht. Sie unterhielten sich viel und
die Fliegerin munterte ihn auf, wenn er einmal nicht weiterkam oder an
den nahen Abschied dachte.
Endlich kam der Tag seines großen Auftritts. Er hatte dafür
bis zum Umfallen geprobt und beherrschte nun jede Bewegung mit geschlossenen
Augen. Diese außergewöhnliche Vorstellung zog die Zuschauer
magisch in ihren Bann. Nie hatten sie so eine gefühlvolle und fesselnde
Darbietung erlebt. Sie war voller Kraft und Zuversicht. Dies übertrug
sich auch auf die Anwesenden.
Nachdem Endoriel den Tanz beendet hatte und langsam zur Erde niedersank,
erschallte von allen Seiten tosender Applaus. Die Getaner waren sich einig,
daß dies seit Jahrzehnten die beste Vorstellung gewesen war, die
sie gesehen hatten. Endlich fand der Flugtänzer allgemeine Anerkennung
mit seiner Kunst. Shack lehnte in einiger Entfernung an einem Gebäude
und freute sich heimlich mit ihm.
Am Abend trafen sie sich an der üblichen Stelle im Tal. Kleine
weiße Wolken zogen über den Himmel, die in der sinkenden Sonne
rötlich leuchteten. Heute war es etwas früher als sonst und zum
ersten mal sah er sie im Licht des Tages. Ihr Haar schimmerte silbrig im
Wind und die letzten Sonnenstrahlen fingen sich in ihren hellblauen Augen.
Er lächelte sanft, als er zu ihr flog.
"Es hat allen gefallen. Ich danke dir für deine Hilfe." Er strahlte
sie an. "Weißt du, geheimnisvolles Silberhaar, immer wenn du mir
nahe bist habe ich das seltsame Gefühl, daß nicht du der schemenhafte
Geist bist, sondern ich." Er blickte ihr daraufhin fragend in die Augen.
´Wenn er nur wüßte, wie Recht er hat´, dachte Shack
und lächelte ihn trotz des plötzlichen Anfluges von Traurigkeit
an.
"Du bist der einzige Getaner, der mich je bei meiner Kunst unterstützt
hat und mir half, sie zu vervollkommnen. Seit ich dich kenne, sehe ich
viele Dinge mit anderen Augen. Es gibt jetzt sogar etwas für mich,
das mir wichtiger ist als der Tanz und es macht mir auch nicht mehr so
viel aus, das alles hier bald verlassen zu müssen. Denn nun ist jemand
da, der mir mehr bedeutet als meine Heimat und selbst als der Himmel."
Sie hatten bisher nebeneinander auf einem Ast gesessen und in
die Ferne geblickt, nun legte er schüchtern einen Arm um ihre Schultern.
Lange Zeit wagte keiner von beiden zu sprechen, denn beide fürchteten,
diesen wundervollen Augenblick zu zerstören. Die Wolken waren inzwischen
größer geworden und bedeckten dunkel und schwer den Himmel.
Ein Gewitter hing in der Luft, aber sie bemerkten es erst, als der erste
ferne Donner zu hören war. Endoriel blickte besorgt auf.
"Oje, ein Gewitter. Bei Gewitter soll man doch nicht fliegen und bis
zu mir nach Hause ist es noch weit. Wenn es losbricht, kann ich nicht auf
dem Luftweg heim und zu Fuß würde es ewig dauern. Ich muß
mich wirklich beeilen."
"Ja, du hast Recht. Also, komm gut nach Hause und pass´ auf die
Blitze auf! Wir sehen uns dann morgen."
"Gute Nacht." Sanft blickte er sie an und streichelte über ihre
Wange, dann flog er davon.
Unglücklich schaute sie ihm nach, während das Gewitter aufzog.
Gerade heute hatte sie das starke Gefühl gehabt, ihn nicht allein
lassen zu dürfen. Und nun war er fort.
Die ersten schweren Regentropfen fielen. Bald würde ein wilder
Platzregen daraus geworden sein. Shack suchte vorbeugend Schutz unter den
großen Bäumen an der flachen Seite des Hügels. Für
einen kurzen Moment war ihr, als habe der Boden unter ihren Füßen
gebebt. Vielleicht ein leichtes Erdbeben? Sie blieb stehen, konnte jedoch
nichts mehr wahrnehmen.
Das Gewitter war nun losgebrochen und es stürmte, als wollte die
Welt untergehen. Riesige Blitze zuckten durch die finstere Nacht und der
Donner klang wie das Spiel eines wahnsinnigen Trommlers.
Shack hatte es sich unter einem der mächtigen Bäume bequem
gemacht, der Regen und Wind von ihr abhielt. Sie hatte sich gegen den Stamm
gelehnt und war trotz des Spektakels eingeschlafen.
Sie erwachte durch ein Geräusch, das zuerst nichts weiter zu sein
schien, als ein zu lauter Donnerschlag. – Doch es war kein Donner!
Shack hatte sich gerade aufgerichtet, da riß sie ein plötzlicher
Erdstoß wieder von den Beinen. Sie fiel mit dem Gesicht ins Gras
und vor ihren Augen öffnete sich der Boden. Ein tiefer Spalt klaffte
auf, an dessen Grund siedende Lava brodelte. Sie kam wieder auf die Beine
und erhob sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft.
Doch selbst diese schien zu beben. Es herrschte immer noch regenverhangene
finstere Nacht, aber Blitze zuckten nur noch selten. Trotzdem konnte sie
nun aus der Luft das ganze Ausmaß der Bebens erkennen, das sogar
noch weiter anschwoll. Überall sah sie tiefe Risse im Boden, aus denen
es lavahell leuchtete und an vielen Stellen traten Dampf- und Gaswolken
aus. Scheinbar hatte sich durch den instabilen Kern des Planeten eine riesige
Magmablase unter der ganzen Gegend gebildet, die nun durch den Druck von
unten den Boden aufriß und sich ihren Weg ins Freie bahnte.
Von einer schrecklichen Vorahnung getrieben flog Shack so schnell sie
konnte zu dem Haus, wo Endoriel mit seiner Familie lebte. Das Beben mußte
auch ihn im Schlaf überrascht haben. Hoffentlich war es noch nicht
zu spät.
Hoffentlich ...
Das Haus lag auf einem flachen Hügel. Die ganze Gegend bestand
aus solchen Hügeln, welche sich zum Fluß hin langsam abflachten.
- Eine schöne und friedliche Landschaft.
Shack war in dem Moment über dem Haus, als eine gewaltige Explosion
den ganzen Hügel erzittern ließ. Das Gebäude wurde augenblicklich
zertrümmert und fiel in sich zusammen.
Sie kreiste verzweifelt über den Trümmern, die durch die
Erschütterung immer noch in Bewegung waren. Der Regen trommelte auf
ihre Flügel und schlug ihr ins Gesicht, doch sie spürte nichts
davon. Endlich fiel ihr in ihrer Verzweiflung ein, daß sie ja telepatischen
Kontakt zu ihm aufnehmen konnte. Sie tat es und bekam nach einem kurzen
angstvollen Augenblick des Wartens eine schwache Antwort.
Den Sternen sei Dank, Endoriel lebte noch!
Doch die Erleichterung, die sie empfand dauerte höchstens eine
Sekunde, dann wurde der Hügel von einem noch gewaltigeren Erdstoß
erfaßt. Mit einem fürchterlichen Knirschen brach er an seiner
höchsten Stelle ein und fiel in sich zusammen, wobei das ganze Haus
mit ins Erdinnere gerissen wurde. Tief darunter brodelte die flüssige
Lava.
Ohne nachzudenken zog Shack die Flügel an und schoß wie
ein Pfeil hinterher. Sie stürzte sich in die Tiefe und flog vorbei
an Felsbrocken und Trümmerstücken des Hauses, die im Schein des
brennenden Gesteins unter ihnen in einem unwirklichen Licht erglommen.
Je tiefer sie flog um so heißer wurde es und kochende Dampfschwaden
schlugen ihr entgegen.
Endlich entdeckte sie Endoriel, der bewußtlos mit den Trümmern
fiel. Als sie ihn erreicht hatte faßte sie ihn von hinten unter die
Arme und hielt ihn ganz fest. - Gerettet!
Sie breitete ihre Schwingen aus und begann, sie beide mit kräftigen
Flügelschlägen empor zu heben. Da traf sie vollkommen unerwartet
ein riesiger Felsbrocken an der Schulter.
Sofort waren ihr linkes Schulter- und Flügelgelenk gebrochen und
sie stürzten wieder in die Tiefe. Krampfhaft hielt sie Endoriel mit
ihrem rechten Arm fest. Der linke hing nutzlos an ihrer Seite. Sie schloß
die Augen. Wenn sie schon sterben mußten, dann würden sie es
wenigstens gemeinsam tun. Da kam ihr eine letzte verzweifelte Idee:
´Endoriel´, sendete sie, ´breite deine Flügel
aus. Hörst du mich? Breite sie aus, so weit du kannst!´
Ihr eindringliches Senden schien tatsächlich seine Bewußtlosigkeit
durchdrungen zu haben, denn er breitete seine großen Flügel
aus und ihr Fall verlangsamte sich. Doch immer noch näherten sie sich
unaufhaltsam der brodelnden Lava.
Dann ging plötzlich alles ganz schnell: Noch ehe Shack richtig
verstand, was geschah, gab es erneut eine gewaltige Gasexplosion. Durch
die starke Druckwelle wurden die beiden wie ein Geschoß aus dem Einsturzkrater
heraus katapultiert. Sie wirbelten wie dürre Blätter zusammen
durch die Luft und landeten in sicherer Entfernung im dichten Unterholz.
Lange Zeit blieben sie dort bewegungslos liegen. Der Regen hatte inzwischen
etwas nachgelassen und prasselte nun gleichmäßig nieder. Angenehm
kühlte er ihre verbrannte Haut und langsam kamen sie wieder richtig
zu Bewußtsein.
"Wie geht es dir?", fragte sie schließlich. Endoriel lag mit
geschlossenen Augen ausgestreckt im Gras und atmete langsam und gleichmäßig.
Nach einer Weile sagte er ruhig: "Ich glaube, meine Beine sind gebrochen,
wieder einmal. Ist nicht so schlimm." Er öffnete die Augen und sah
sie an.
"Aber du bist schlimmer dran. Deine Schulter sieht böse aus."
Er deutete auf die zerschmetterte Schulter, an deren Stelle sich ihr weißes
Hemd dunkel verfärbt hatte und kleine Rinnsale von Blut den Stoff
durchdrangen. Vorsichtig setzte er sich auf, hob einen Arm und berührte
mit zitternden Fingern ihre Schulter. Mildes blaues Licht floß aus
seinen Fingerspitzen und hüllte die verletzte Stelle ein. Dann verschwand
das Leuchten im Inneren ihrer Haut und ließ diese wieder unversehrt
zurück. Mit einem Laut der Erschöpfung sank er wieder zurück
auf den Boden, während Shack in stummem Erstaunen ihre Schulter ansah.
"Meine Familie?", fragte er tonlos. Als Antwort nahm sie seine Hand
in die ihre und sah ihn hilflos an. Er schluckte und drehte den Kopf zur
Seite. Seine Augen waren voll von Tränen.
"Ohne dich wäre ich jetzt genauso tot wie sie. Du hast gewußt,
daß das alles geschehen würde, nicht wahr?" Er drehte den Kopf
wieder zu ihr. Shack blickte ihm ins Gesicht auf dem dunkle Schatten des
fernen Feuerscheins tanzten. Der Augenblick der Wahrheit war gekommen.
Sie holte tief Luft und begann:
"Ja, ich wußte, daß du bald sterben solltest, doch weder
genau wann, noch unter welchen Umständen. Mein Name ist Shack und
ich komme aus einer fernen Zukunft. Ich las in den heiligen Hallen von
dir und konnte dich nicht mehr vergessen. Deshalb kam ich hierher, aber
niemand durfte von mir erfahren, denn das hätte den Verlauf des Geschehens
geändert."
Endoriels Augen waren groß geworden und von Erstaunen erfüllt.
"Shack? Dann gibt es die legendären heiligen Hallen also wirklich!
Und du bist dieses große Wagnis eingegangen, nur wegen mir? Dann
müßte ich jetzt also eigentlich tot sein, so wie meine ganze
Familie?"
Die Fliegerin nickte und schlug die Augen nieder.
"Sag´ mir, Shack, wie sieht es in der Zukunft aus? Was wird aus
unserem Volk?"
Stockend erzählte sie Endoriel vom traurigen Schicksal, daß
noch auf die Getaner wartete. Niemand von ihnen würde überleben.
Mit ungläubigen Entsetzen folgte er ihren Worten und als sie geendet
hatte, saß er aufrecht neben ihr. Dann umarmte er sie so fest, als
ob er sie nie wieder loslassen wollte.
"Bei allen Sternen, Shack, wie fürchterlich. Nun hält mich
nichts mehr hier. Ihr müßt es wirklich sehr schwer haben. Ihr
seid nur so wenige! Ganz allein und verloren im Universum. Ich würde
gerne ..., ich meine, ich möchte dich begleiten. Weißt du, ich
kann nicht mehr ohne dich ... ." "Ja", sagte sie nur, doch das genügte.
Sie hielten sich immer noch fest, als sie seine Welt für immer
verließen.
Als Shack erleichtert feststellte, das sie in den Hallen materialisiert
waren, hatte sie sogar noch genug Kraftreserven, um Endoriel´s Beine
zu heilen.
Alsbald verließen Endoriel und Shack die heiligen Hallen in denen
die seltsamsten Dinge geschehen konnten und das Schicksal offensichtlich
seine ganz eigenen Wege ging.
Unsicher stand er neben ihr und hielt ihre Hand während er sich
ehrfürchtig umsah. Shack war an die selbe Stelle zurückgekehrt,
von der sie auch los gereist war: Die Bibliothek.
Da ertönte eine krächzende, ihr wohlbekannte Stimme. Es war
Akal. "So so, du bist also wieder zurück?" Mit hinter dem Rücken
verschränkten Armen kam er näher und musterte mit schiefgelegtem
Kopf den Flugtänzer. Anerkennend hob er eine Augenbraue. "Verstehe,
verstehe. Dagegen ist ja bekanntlich kein Kraut gewachsen", lächelte
er. "Und da hast du dich einfach auf eine nette, kleine, unverantwortliche,
wahnwitzige und selbstmörderische Reise gemacht!" Er sah sie scharf
an, seufzte und drehte sich um. Im Weggehen gestikulierte er noch wild
mit einer Hand in ihre Richtung. "Typisch! Das ist mal wieder typisch!",
brummte er und verschwand hinter den Säulen.
Noch bevor Endoriel Fragen über Akal´s Aussehen stellen
konnte, erschien Tiriki. Sie war sichtlich froh darüber, daß
Shack wohlbehalten zurückgekehrt war.
Freundlich begrüßte sie den Tänzer, der die uralte
Scriptorin ungläubig ansah. Sie war für ihn, genau wie die Hallen,
bisher nichts weiter als eine geheimnisvolle Legende gewesen.
Etwas später sagte sie dann zwinkernd zu den beiden, daß
dies hier wohl kaum der richtige Ort für zwei junge, verliebte Flieger
sei.